“Omar” – gestrandet und gerettet

Ein Bericht von Christian C. Tiews (Hamburg)

Letzte Woche habe ich „Omar“ auf seine Asylanhörung vorbereitet: „Warum haben Sie den Iran verlassen?“ Omar erklärte, dass er wegen des strengen Gesetzlichkeitsdenkens immer Vorbehalte gegen den Islam gehabt habe. Doch 2013 löste sich selbst diese schwache Verbindung zur muslimischen Religion auf, als sein 17-jähriger Neffe von drei muslimischen Männern entführt und so schwer misshandelt wurde, dass der Junge am nächsten Tag Selbstmord beging. Von diesem Tag an sagte sich Omar (heimlich) vom Islam los. Geistig abgestumpft dachte auch Omar nun über Selbstmord nach, fragte sich aber immer noch, ob es irgendwo noch einen “guten Gott” geben könnte.

Bald darauf begann Omar im iranischen Ölfeld zu arbeiten, wo er nach einer Weile einen Mann traf, der irgendwie anders war – immer ruhig und friedlich. Seltsamerweise nahm dieser Mann jeden Sonntag von der Arbeit frei. Mit der Zeit wurden sie Freunde. Omar nahm an, dass sein Kumpel eine Freundin haben musste, die er immer besuchte, aber sein Kumpel wollte nie etwas dazu sagen. Eines Tages offenbarte der Freund, dass er Christ war und jeden Sonntag das Lager verließ, um eine Untergrundkirche in einer anderen Stadt zu besuchen. Omar schreckte zunächst zurück – nicht nur wegen des religiösen Aspekts, sondern auch, weil es im Iran tödlich sein kann, einen Christen zu kennen. Dennoch gab der Freund Omar ein Neues Testament. „Lies das. Es wird dein Leben verändern.“ Omar überwand seine Skepsis, las es und war bald überwältigt von der Ruhe und dem Frieden, die ihn überfluteten, als er von Jesus las. Er versteckte sein NT unter seiner Matratze.

Bald darauf wurde Omar auf Geschäftsreise nach Berlin geschickt. Einen Tag nach seiner Ankunft rief sein Freund an und teilte ihm die schreckliche Nachricht mit, dass die Geheimpolizei Omars Habseligkeiten durchsucht und sein NT gefunden hatte. Im Falle seiner Rückkehr drohte ihm nun Gefängnis oder sogar die Hinrichtung. In seiner Benommenheit verlor Omar irgendwie seinen Geldbeutel, in dem sich sein Reisepass und sogar das Bargeld für seine Reise befanden.

Inzwischen war die Nacht hereingebrochen. Omar legte sich unter einer Brücke nieder und deckte sich nur mit einer schmutzigen Decke zu, die ihm ein Obdachloser gegeben hatte. An nur einem Tag hatte Omar sein ganzes Leben verloren. Und so lag Omar da und starrte in die Dunkelheit — er hatte sein Heimatland, seinen Job, seine Familie und sogar seine Brieftasche verloren.

Kalt, hungrig und schmutzig wanderte er am nächsten Morgen ziellos durch den Berliner Bahnhof Zoo und wusste nicht, was er als Nächstes tun sollte. Nach einer Weile hörte er zwei Männer, die Farsi sprachen, und beschloss, sie um Hilfe zu bitten. „Brüder, ich bin gestern aus Teheran hierher gekommen und mein ganzes Leben ist zusammengebrochen. Könnt ihr mir helfen?“ Ohne dass sie es wussten, war der Herr im Begriff, ein weiteres seiner unzähligen Wunder zu vollbringen. „Komm mit mir”, antwortete einer von ihnen. “Ich habe etwas zu essen und du kannst dich ein wenig ausruhen. Wenn du willst, kann ich dich Freunden vorstellen, die dich bei sich aufnehmen, bis du wieder auf die Beine kommst.” Der Mann nahm ihn mit in seine Wohnung. Omar wusch sich. Sein neuer Freund servierte ihm eine warme Mahlzeit und ließ ihn auf der Couch schlafen.

Der nächste Tag war ein Sonntag. Wie sich herausstellte, war der Iraner ein Christ und nahm Omar mit in die Kirche: Die lutherische Dreifaltigkeitskirche in Berlin-Steglitz, wahrscheinlich die größte persisch-lutherische Kirche in Europa. Dort hörte Omar die gleiche Gute Nachricht, von der er im Iran heimlich gelesen hatte: Wer an Jesus Christus glaubt, wird nicht zugrunde gehen, sondern das ewige Leben haben. Erneut überkam ihn ein Gefühl der Ruhe und des Friedens. Nach dem Gottesdienst wurde Omar Pastor Gottfried Martens vorgestellt, der ihm anbot, ihm bei seinem Asylverfahren in Deutschland zu helfen, und ihn einlud, bei den vielen anderen Flüchtlingen aus dem Iran und Afghanistan zu wohnen, die die Gemeinde beherbergte. Bald darauf wurde Omar Christ.

Vier Jahre später, am vergangenen Donnerstag, fand Omars Gerichtsverhandlung statt, zu der er mich eingeladen hatte. Meine Kollegen und ich – und vor allem der Richter – waren beeindruckt, wie gut Omar seinen christlichen Glauben erklären konnte. Ihm wurde Asyl gewährt. Omars alter Kollege im Ölfeld hatte also Recht, als er ihm heimlich ein Neues Testament überreichte und sagte: „Lies das. Es wird dein Leben verändern.“