Lutherische Kirchenmission

Bleckmarer Mission

Begegnung auf Augenhöhe

von Missionar Hugo Gevers (Leipzig) – Jeden Donnerstag treffe ich mich in Borna im privaten Haus einer persischen Familie. Dort halten wir einen wöchentlichen Hausgottesdienst für die Migranten, die nicht nach Leipzig reisen können. Letzte Woche gab es etwas besonders bei diesem Hausgottesdienst. Die kleine Hausgruppe hatte nämlich eine Geburtstagsfeier für mich organisiert! Mitsamt große Torte (vom Ehemann gebacken!) und was noch so alles dazu gehört! Die größte Überraschung kam aber von dem 5 jährigen A.S. Er hatte gerade ein deutsches Geburtstagslied im Kindergarten gelernt und wollte dieses nun vortragen. Dazu hat er sich mühsam einen Stuhl bis vor meinen Stuhl getragen und hat dann auch noch seine kleine Figur bis auf den Stuhl gehievt, mir das Lied genau auf meine Augenhöhe vorzusingen. Es war einfach herrlich! Aber erst später und durch die Hilfe von einer Person, die sich besser mit Kindern auskennt als ich, habe ich verspätet auch erkannt, wie bezeichnend diese kleine Aktion des A.S. war. In Wahrheit war er ein wahrer kleiner Prophet! Denn er hat das erkannt, was wir Erwachsenen so schwer erkennen. Nämlich, dass es gar nicht geht, mit einem Menschen von oben herab zu reden. Für A.S. war es einfach klar, dass er sein Lied auf Augenhöhe singen sollte. Wie toll, dass er das mit seiner Kinderintuition schon verstanden hat!

Leider klappt das bei uns Erwachsenen überhaupt nicht. Wenn Flüchtlinge nach Deutschland kommen, gibt es viele Gründe, wieso sie nicht auf Augenhöhe reden können. Zunächst sind sie ja völlig auf die Hilfe und Gnade des deutschen Staates angewiesen. Manchmal müssen sie auch noch mit allen Mitteln kämpfen, Bleiberecht zu bekommen. Dabei kämpft der Staat ebenso mit allen Mitteln, dieses Bleiberecht zu verhindern! Unterm Strich sind die Flüchtlinge in dieser Situation Bittsteller und das ist überhaupt nicht gut für eine normale menschliche Beziehungen auf gleiche Augenhöhe. Selbst, wenn Flüchtlinge Bleiberecht bekommen, bleibt es ein sehr langer Weg, bis sie die Sprache lernen, Wohnung bekommen und letztendlich eine Arbeit bekommen und nicht mehr auf die Hilfe von anderen angewiesen sind. Gerade in der Wohnungssuche in Leipzig bleiben fast alle Türen verschlossen. Nicht etwa weil es keine Wohnungen gibt, aber einfach weil die deutschen Mitbewohner sich über Migranten beschweren und die Makler extrem unwillig geworden sind, einen Vertrag mit Migranten abzuschließen. Bei einigen Maklern gibt es tatsächlich ein Quotensystem, sodass nur eine gewisse Anzahl Migranten in einer Immobilie erlaubt sind. Davon habe ich ausführlicher in einem Bericht geschrieben, der auf folgende Seite zu lesen ist:

http://www.die-bruecke-leipzig.de/documents/Kalender_20170807.pdf

 

Was können wir in so einer Situation tun? Und gibt es einen Weg, wieder auf gleiche Augenhöhe zu kommen, wie der kleine Prophet aus Borna uns das vorgemacht hat? Gerade in der kirchlichen Arbeit unter Migranten ist die Gefahr groß, dass Flüchtlinge, sich uns bedingungslos unterwerfen und deshalb von vornherein nicht auf Augenhöhe sind. Das ist weil sie von uns Hilfe erwarten. Ebenso ist die Versuchung unsererseits groß, mit einem fehlgeleiteten Helfersyndrom die Disparität noch in Beton einzumauern. Es kann sogar sein, dass wir die anderen durch lauter Freundlichkeit beherrschen. Das natürlich alles ohne Absicht. Sartre hat die Kultur des Gebens in einem indischen Dorf beschrieben (Potlatch)und damit angeprangert, dass ein Geschenk manchmal zu der Entwürdigung und Versklawung des Beschenkten führen könnte. So etwas ist total ungesund. Das hält kein Mensch aus und wir sollten uns dann nicht wundern, wenn Migranaten in so einer Situation so schnell wie möglich die Beziehung zu uns wieder trennen, wenn sie auf eigenen Füßen stehen können. Nein, wir müssen dieses ungesunde von oben nach unten herab dringend abschaffen. Wir sollten auch immer wieder Wege suchen, vom Hocker abzusteigen, damit wir die Menschen auf Augenhöhe begegnen können, die Gott uns in den Weg stellt. Vor allen Dingen sollten wir ständig auf der Hut sein, damit es gar nicht dazu kommen kann, dass wir wie eine Art Vaterfigur in luftige Höhen über unserer neuen Brüder und Schwestern sind. Deshalb sollten wir jede Gelegenheit nutzen, die Brüder und Schwestern, die einen Flüchtlingshintergrund haben, aufzuwerten. Das kann man tun, indem man Verantwortung anvertraut. Und ganz wichtig wäre, dass man ihnen anvertraut Deutsch zu lernen, damit sie auch in Eigenverantworung handeln können. Und wenn die eine oder andere Person das alles nicht so schnell schafft, sollte man vor allen Dingen solche Menschen deutlich zeigen, dass wir uns trotzdem auf Augenhöhe treffen können. Eine Umarmung bringt zum Ausdruck: „Ich bin ganz bei dir! Ich stehe zu dir! Ich akzeptiere dich!“ Ebenso kann die ganz normale menschliche Gemeinschaft das Eis brechen: Zusammen kochen, malen, Sport betreiben…all das sind kleine Bausteine auf den Weg, die Grenzen zu überwinden. Dass diese Grenzen eine riesige Hürde und Herausforderung sind, wissen wir. Laut eine Studie der Bundeszentrale für politische Bildung, gibt es kaum Chancen für Menschen aus unteren sozialen Schichten und vor allen Dingen auch für Migranten, eine bessere Ausbildung zu genießen. Der Prozentteil der Menschen aus diesen Schichten, die gar nur in Förderschulen kommen, ist extrem hoch. (http://www.bpb.de/politik/grundfragen/deutsche-verhaeltnisse-eine-sozialkunde/138439/soziale-schichtung?p=all) Durch die soziale Stigmatisierung haben Menschen aus diesen Schichten auch ein extrem schlechtes Selbstbild. Vielleicht ist dieses schlechte Selbstbild sogar eine Hauptursache für das Bildungsdilemma. Wie entscheidend wichtig es da ist, dass wir keinen Stein unumgedreht lassen, Menschen auf gleiche Augenhöhe zu begegnen und ihnen vor allen anderen Dingen, die Würde zurückgeben. Die christliche Botschaft von der bedingunslosen Annahme des Sünders ist das Sprengstoff, dass die menschlichen Mauern aus Beton sprengen kann! Das ist auch das Fundament unseres Handelns und Tuns in der sozialen Arbeit mit Menschen. Ebenso wie Christus uns selbst bedinungslos annimmt und liebt, unsere ganzen Fehler zum trotz, so dürfen wir auch andere Menschen in Würde und auf Augenhöhe begegnen. Unser Vorbild ist Jesus selbst. Er, der es nicht für einen Raub hielt, Gott gleich zu sein, entäusserte sich selbst und ward gleich wir wir! (Philipper, 2,5-11) Jesus hat uns das einfach auch vorgemacht, indem er die Füße seiner Jünger gewaschen hat. Interessant die Reaktion des Petrus, wie sicher auch die anderen! Was Jesus tat, hat einfach nicht gepasst. Es gehörte sich nicht! Deshalb hat er sich dagegen gewehrt. Sicher ist es immer die menschliche Reaktion, sich gegen die neue Erfahrung der unbekannten Würde zu wehren. Die Konvention und Sitten können wie Beton sein. Selbst das Wissen um seinen niedrigen Stand in der Gesellschaft kann eine Art „Comfortzone“ für den Menschen sein, sodass er sich wehrt, da heraus zu kommen. Christus befreit uns eben davon! Und wenn Er das tut, können die ganz schwierigen Verhältnisse durch eine einfache Handlung wie das Füße waschen überwunden werden. Oder auch wie der kleine Prophet aus Borna uns zeigt: Die Hindernisse einfach mit den notwendigen praktischen Schritten abbauen!

Titelfoto: (C) momosu, pixelio.de

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